Geleitwort zum Nachdruck (Auszug):
Karlheinz Blaschkes „Lauter alte Akten“ ist 1956 im populärwissenschaftlichen Urania-Verlag Leipzig/Jena erschienen. Wohl selten ist in die bis heute nicht jedermann geläufige Welt der Archive so unterhaltsam und gemeinverständlich eingeführt worden. Von der grundlegenden Frage, was ein Archiv ist, spannt der Autor den Bogen über die Organisation des Archivwesens mit seinen Zuständigkeiten und Sprengeln („Archivstrategie“), über Gemeinsamkeiten mit und Unterschiede zu den Bibliotheken, Museen und der Denkmalpflege („Die Konkurrenz“) bis hin zu einem Kapitel über Sinn und Zweck der Archive und zur Frage „wie ein vernünftiger junger Mensch überhaupt auf den Gedanken kommen kann, Archivar zu werden“ und welche Ausbildungswege ihm dann offenstehen („Beruf und Berufung“).
Die Akten, ihre Entstehung, ihre Bearbeitungsvermerke und Aktenzeichen („Ad acta!“), wie, womit und worauf man sie schrieb, erfahren ebenso Beleuchtung wie ihre Ordnung im Archiv (Provenienzprinzip), ihre sachgerechte Aufbewahrung und Erhaltung in den Magazinen („Gewölbe und Gewächshäuser“) oder ihre Restaurierung („Krankenstube“). Neben den Akten begegnen uns als Archivgut und Dokumentationsträger („Miscellanea“) die mittelalterlichen Urkunden („Brief und Siegel“) ebenso wie die Karten und Risse, Bilder, Fotografien und Tonträger. Die „Schriftgutproduzenten“ stellt uns der Verfasser in einem Kapitel zur Kanzleiorganisation („Von wirklichen und unwirklichen Geheimen Räten …“) vor. Dem „Archivbenutzer“ in den Lesesälen widmet Blaschke eine teilnehmende wie kritische Betrachtung in besonders hübscher Form. Kurz und gut, alle Aufgabenbereiche der Archive bis hin zu den ganz modernden Feldern der Bewertung („Kassation“) und Überlieferungsbildung haben ihren Platz. (…) Blaschkes Büchlein richtet sich ausdrücklich an den interessierten Zeitgenossen, doch ist es auch unter den Archivaren ein Geheimtip – nicht nur im Sinne fachsimpelnder und erheiternder Selbstbespiegelung, sondern wegen seiner noch heute treffenden Beobachtungen im Berufsalltag. Für die Wahrnehmung seines fachlichen Anspruchs sprach bereits 1956 – man staune – der Vermerk: „im Einvernehmen mit der Staatlichen Archivverwaltung im Ministerium des Innern der DDR“. Wenn der Fachmann an einer so disponierten Darstellung ohne Frage manches zu ergänzen und aus heutiger Sicht aktualisieren mag, haben Blaschkes Betrachtungen im Kern an Aktualität nichts eingebüßt. Ihr amüsant-ironischer Stil verrät ausreichend Distanz, um sie für den Nicht-Archivar lesenswert sein zu lassen. Der Autor, Professor Dr. Karlheinz Blaschke, 1950 bei Rudolf Kötzschke promoviert, ist als Nestor der sächsischen Landesgeschichtsschreibung nach dem Zweiten Weltkrieg bekannt. Als Absolvent eines der ersten Kurse des Instituts für Archivwissenschaft in Potsdam schlug er – was weniger bekannt sein mag – zunächst die Archivarslaufbahn ein und war von 1951 bis 1968 Wissenschaftlicher Archivar am Landeshauptarchiv (heute wieder Hauptstaatsarchiv) Dresden. Aus der Praxis dieser Jahre, in denen bis heute wichtige landesgeschichtliche und archivwissenschaftliche Arbeiten entstanden, schöpft der Autor seine farbigen Beobachtungen und plastischen Schilderungen in den Büros der Verwaltungen und in den Lesesälen der Archive am typischen Beispiel. Es wirft ein Licht auf die Verhältnisse der Zeit, daß ein landeshistorisch wie archivwissenschaftlich ausgewiesenenr Mann wie Karlheinz Blaschke sich durch die politischen Entwicklungen im staatlichen Archivwesen der DDR gezwungen sah, als Dozent an das Leipziger Theologische Seminar zu wechseln, und sich somit von den Quellen seines Dresdner Archivs zu entfernen. An der Karl-Marx-Universität Leipzig erhielt er nach seiner Habilitation 1962 keine Lehrbefugnis. Blaschke hat aus eigenem Erleben biographisch von dieser Zeit berichtet: „Als bürgerlicher Historiker am Rande der DDR. Erlebnisse, Beobachtungen und Überlegungen eines Nonkonformisten“, in: Historiker in der DDR, hrsg. von Karl-Heinrich Pohl, Göttingen 1997. Sein archivarischer Erfahrungsschatz war groß genug, um 1990 Leiter der neugebildeten sächsischen Archivverwaltung zu werden, bevor er 1992 den Lehrstuhl für Sächsische Landesgeschichte an der Technischen Universität Dresden übernahm. Der inzwischen im neunten Lebensjahrzehnt Stehende wundert und freut sich über das anhaltende Interessen an seinen „Alten Akten“.
(Lorenz Friedrich Beck, Direktor des Archivs der Max-Planck-Gesellschaft, Berlin-Dahlem)
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